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Seit dreieinhalb Monaten bin ich, Lara F., Klasse 7a, in Kolumbien und mache hier einen Schüleraustausch. Ich bin hier, um die Sprache zu lernen, die Menschen kennenzulernen und zu verstehen. Kolumbien war nicht mein Wunschland, genauer gesagt hatte ich mich zuerst aufgrund der bekannten Vorurteile gegen dieses wunderbare Land entschieden. Erst als ich keine andere Option mehr hatte habe ich mich dazu entschieden, nach Kolumbien zu gehen, Chile (meine erste Wahl) hat die Grenzen wegen Corona nicht öffnen wollen. Jedes Mal, wenn ich gefragt werde, warum ich Kolumbien ausgewählt habe, erzähle ich diese Geschichte und es tut mir unendlich leid, dass dieses fantastische Land nur letzte Wahl gewesen ist und man in der Welt nur das Negative kennt.

Kolumbien. Was für ein Land! Ein Land der Extreme. Der Gegensätze. Der unglaublichen Natur. Mit unvorstellbar offenen Menschen.

Ich weiß jetzt, wie es ist, wenn die Menschen nur das Schlechte von einem Land kennen, denn wenn ich sage, dass ich Deutsche bin, aber aus Österreich komme, wissen die Kolumbianer meist nur, dass Hitler dort geherrscht und gemordet hat. Aber was ist das denn im Vergleich zu dem extrem negativen Ruf Kolumbiens, dass ein so wunderschönes Land ist. Und die Welt will das nicht sehen. Oft wird nur das Schlechte gesehen, nicht aber all die gastfreundlichen und sympathischen Menschen, die mich wie ihre Tochter, Schwester oder Cousine aufgenommen haben. Ich erlebe jeden Tag das Positive dieses Landes und habe meine Vorurteile gegenüber Kolumbien verloren.

Kolumbien. Was für ein Land! Ein Land der Extreme. Der Gegensätze. Der unglaublichen Natur. Mit unvorstellbar offenen Menschen. Gastfreundschaft, wohin man blickt. Einer Sprache, in der auch das unbekannte Mädchen in der Tienda (dem Tante-Emma-Laden) „amor“, „mi reina“ oder „mami“ genannt wird. Der alte Mann an der Ecke wird mit „papi“ oder „rey“ begrüßt. Fiestas, Rumba, Tanz und Musik, wohin man blickt. Ausgelassene Kolumbianer, die es verstehen, auch ohne Alkohol krachende Feste zu feiern. Menschen, die zusammenhalten, egal was für Schicksalsschläge das Leben für sie bereithält.

Dem Gegenüber die extreme Armut einer breiten Bevölkerungsschicht. Korruption in der Politik. Vorurteile, von denen leider manche auch stimmen, die das Image des Landes weltweit zerstören.

Aber Kolumbien ist das alles. Die Mafia und die Drogen, der Kaffee-Export, der Artenreichtum der Natur und die Rumba! Für mich steht Rumba für feiern, tanzen, ev. trinken, aber vor allem für Spaß und mit der Familie geteilte Freude. Mein kleiner Bruder Jonathan fragte mich, ob es denn überhaupt irgendetwas gibt, dass die Kolumbianer nicht feiern. Ich musste diese Frage lächelnd verneinen. Nicht eine Woche vergeht, in der man nicht irgendeinen Anlass zum Feiern und Tanzen findet.

Ein Lächeln erscheint auf meinem Gesicht, während ich dem in seinen Gedanken versunken Tänzer zuschaue.

Ich stehe hinter der Theke des Elektronikladens meiner Gastgroßmutter im Herzen von Tuluá. Gerade ist kein Kunde zu sehen und ich unterhalte mich mit Paula, einer Cousine, über ein paar Sprachgewohnheiten im Spanischen, die ich nicht verstehe. Salsa oder Bachata läuft im Radio. Andrés, mein etwa 30 Jahre alter Cousin steht verträumt im Raum. Plötzlich fängt er langsam, mit geschlossenen Augen und seiner unsichtbaren Partnerin an zu tanzen. Er wiegt sich vor und zurück und dreht sich im Kreis. Ein Lächeln erscheint auf meinem Gesicht, während ich dem in seinen Gedanken versunken Tänzer zuschaue. Der Tanz dauert nicht länger als ein paar Herzschläge, aber er zeigt so viel vom Wesen der Kolumbianer und Andrés, der ein ausgezeichneter Tänzer und exzellenter und geduldiger Lehrer ist.

Ein anderer Ort, ein anderer Tag. Es ist der Abend des 7. Dezembers, „el día de las velitas“. Der Tag der Kerzchen. Meine Familie und die Nachbarin zünden auf der Straße dutzende bunte Lichter an. Die Nachbarn tun das Gleiche und bald leuchtet die ganze Straße im flackernden Licht tausender Kerzen. Es wird Maria Empfängnis gefeiert und jede Kerze steht für einen Wunsch an die Jungfrau Maria. Es ist eine schöne Tradition. Familien und Nachbarn sitzen zusammen, reden und teilen „Buñuelos“ und „Natilla“, das Weihnachtsgebäck. Die Erwachsenen trinken „tinto“, schwarzen Kaffee oder „Aguardiente“.

Die Kolumbianer stehen für Fröhlichkeit und Tanz und so darf auch heute der Tanz nicht fehlen. Der seit langem nicht zu Hause gewesene Ehemann tanzt mit seiner Frau, der jungen Mutter dreier Töchter. Dann tanzt der 30-Jährige mit seiner mittleren Tochter. Das 6-jährige Mädchen blickt zu seinem Vater bewundernd auf und drückt ihn fest an sich. Das älteste Mädchen, 11 Jahre alt, packt seine kleinste Schwester an der Hand und wirbelt sie im Kreis um sich. Alle schauen andächtig zu und auf dem Mund des todkranken Großvaters erscheint beim Anblick dieses Friedens und der Freude ein breites Lächeln.

Wir haben die Nacht durchgetanzt und während die Sonne hinter den Häusern aufgeht, kommt die Rumba (Feier) zu ihrem Höhepunkt.

In der Silvesternacht, oder eigentlich ist es schon Neujahr, gegen 6 Uhr morgens: Viele der Familienmitglieder und Feiernden sind schon zurück nach Hause gegangen. Zurückgeblieben ist der harte Kern, meine Cousins Andrés, John, Erika, Duberney, ein paar, deren Namen ich nicht kenne und Cirley, die Großmutter. Wir haben die Nacht durchgetanzt und während die Sonne hinter den Häusern aufgeht, kommt die Rumba (Feier) zu ihrem Höhepunkt.

Der Sänger ist schon vor Stunden gegangen, und jetzt hat der DJ Reggaeton aufgelegt. Begeistert tanzen alle und immer wieder tritt ein einzelner oder ein Paar in die Mitte des Kreises und zeigt, was er oder sie kann. Diese Menschen können mit allen jeden Tanz tanzen und Hüft- oder Schulterbewegungen sind so schon beeindruckend, aber beim Reggaeton kann ich nur staunen. Es ist ein erotischer Paartanz und ich habe es selbst versucht, mich nicht allzu schlecht angestellt, aber oft wusste ich nicht, welchen Teil meines Körpers ich wie bewegen soll. Das Tanzen ist die Leidenschaft der Kolumbianer, der Rhythmus der Musik ihr Herzschlag und feiern können sie wie niemand anderes!

Aber nicht nur der Tanz ist etwas, dass die Kolumbianer eint. Viel wichtiger sind ihnen enge Beziehungen zu den Menschen, die ihnen wichtig sind. Täglich telefonieren die Kinder mit ihren Eltern. Verlässt ein Bruder oder eine Schwester die Stadt, um woanders zu wohnen, folgen ihm die Geschwister mit ihren Familien. Familien bleiben zusammen, nur selten zieht jemand weit fort und wenn man nicht mindestens einmal in der Woche ein Treffen mit möglichst allen Verwandten abgehalten hat, dann fehlt etwas.

Der Durchschnittskolumbianer ist für österreichische Verhältnisse eher arm. Ein Autokauf wird wie ein Geburtstag mit Blumen und Glückwunschkarten gefeiert. Doch die Mehrheit der Bürger besitzt kein Auto, das Hauptverkehrsmittel ist das Motorrad oder in den Llanos (östlich der Anden auf dem Land) das Pferd. Während in Österreich fast jeder Einwohner Ski fahren kann, reiten so gut wie alle Llaneros. Das Motorrad ist das Verkehrsmittel der Stadt, aber auf dem Land ist es das Pferd und fast täglich sehe ich auch in der Stadt eine Kutsche mit Obst oder anderen Wagen durch die Straßen ziehen. Der typische Llanero reitet barfuß mit Sombrero und Poncho durch die brütende Hitze, seine Kühe vor sich her treibend. Dieses Leben ist hart und wird von von der Sonne schwarzverbrannten, kräftigen Männern bestritten, aber schon dem jungen Hofangestellten kann man ansehen, wie sehr der Beruf an ihrer körperlichen Gesundheit zerrt.

Hier jedoch finde ich es fantastisch auf Hanto, einem vor Kraft strotzendem Hengst, über die Wiesen zu galoppieren oder die Kühe vor mir herzutreiben.

All das beobachte ich wöchentlich, denn ich hatte das Glück in einer Familie zu landen, in der die kleine Tochter reiten geht. So habe ich Kontakt zu unterschiedlichsten Menschen, vor allem aber lerne ich Reiten selbst und da meine Reitlehrer eine „Granja“ (Bauernhof) besitzen, darf ich alles ausprobieren, was man als Farmer hier so macht. In Europa bin ich nie geritten und weiß nicht, wie es dort ist. Hier jedoch finde ich es fantastisch auf Hanto, einem vor Kraft strotzendem Hengst, über die Wiesen zu galoppieren oder die Kühe vor mir herzutreiben. Egal wie hart das Leben auf dem Land ist, und ich habe es am eigenen Körper erlebt, liebe ich dieses Leben. Die Freiheit, dorthin reiten zu können, wohin ich will, Kaimane und Schildkröten in den Wasserlöchern schwimmen zu sehen, das Affengebrüll im Wald zu hören, Mandarinen frisch vom Baum zu pflücken, Piranhas zu angeln und zu verspeisen (sehr lecker!) oder einfach nur mit den Menschen auf der Granja (dem Bauernhof) über das Leben hier und anderswo zu reden.

Und das natürlich alles auf Spanisch. Wenn mich jemand auf Englisch anredet, antworte ich auf Spanisch und egal wie nervig es manchmal sein kann, wenig zu verstehen, mag ich es doch nicht, wenn die Menschen Englisch mit mir reden.

Eins steht fest: Colombia es chévere y yo amo el país y la gente que es muyyyy amable. (Kolumbien ist cool und ich liebe das Land und die Menschen, die sehr freundlich sind.) Am liebsten würde ich das Land gar nicht mehr verlassen.

Das BRG hat mich sehr gut unterstützt, sobald ich gesagt habe, dass ich für ein Jahr ins Ausland gehen möchte. Freilich waren die Reaktionen sehr unterschiedlich (Willst du wirklich nach Kolumbien gehen?!), doch ich habe keine einzige negative Reaktion erlebt. Die Lehrer*innen fanden den Plan ausnahmslos super und auch jetzt, während ich in Kolumbien bin, geben sie mir die Möglichkeit, den Stoff mitzulernen und meine kleine Schwester Natascha erzählt regelmäßig, dass sich die Lehrer*innen begeistert nach mir erkundigen oder Werbung für ein Auslandsjahr machen. Und das kann ich jedem nur ans Herz legen, der mehr über andere Kulturen und Länder, sich selbst und seine eigenen Vorstellungen und Werte lernen möchte.

Und von da an wurde ich immer „Prima“ genannt. Von allen. Ihr Zuhause sei nun meins (und es ist es) und ich bin nun Teil ihrer großen Familie.

Kein Land, keine Kultur ist perfekt. Weder Österreich noch Kolumbien. Doch in beiden Ländern überwiegt das Positive und ich habe die Kolumbianer, das Land und ihre Kultur zu schätzen gelernt. Mein Leben lang wollte ich dieses Auslandsjahr machen und jetzt, wo ich hier bin, will ich nicht wieder weg, bevor ich nicht alle Orte und Traditionen dieses mich immer wieder überraschenden Landes kennengelernt habe.

Wenn ich mir die Kolumbianer anschaue, sind sie gastfreundlicher, offener und warmherziger als alle, die ich zuvor kennenlernen durfte. Aber natürlich birgt es auch innerhalb Kolumbiens große Unterschiede: der „Bogotano“ gilt als der verschlossenste Kolumbianer. Wenn man sich die Menschen in den Llanos anschaut, begegnen sie mir offener als die Österreicher. Der „Caleño“ oder „Tulueño“ (dazu gehören Andrés und alle meine in der Silvesternacht erwähnten kolumbianischen Verwandten) hingegen ist der offenste und gastfreundlichste Mensch, dem ich je begegnet bin. Ich wurde ihnen das erste Mal vorgestellt und sie meinten, dass die Familie ja groß sei, aber man sich immer über eine neue „Prima“ (Cousine) freuen würde. Und von da an wurde ich immer „Prima“ genannt. Von allen. Ihr Zuhause sei nun meins (und es ist es) und ich bin nun Teil ihrer großen Familie. So wurde ich verabschiedet, als mein Besuch dort geendet hat. Sie sind genauso meine Familie geworden, wie ich zu der ihren gehöre.
Obwohl ich selbst eher nicht offen bin, fühle ich mich hier doch sehr wohl und werde so vieles von dieser wunderbaren Kultur und besonders die Menschen vermissen, wenn ich wieder in Österreich bin. Ich liebe Kolumbien, mit all seinen Fehlern und Positivem und besonders aber meine herzliche Familie in Tuluá habe ich ins Herz geschlossen. Te quiero familia!

Larga vida a Colombia!

Lara F.